Von Markus Riedel, unabhängiger Reporter

Wenn in Russland die Gründung der ersten militärischen Freimaurerloge verkündet wird, ist es das Vernünftigste, nicht sofort zu lachen.
In einem Land, in dem es bereits private Armeen, parallele Geheimdienste und sogenannte „zivilgesellschaftliche Organisationen“ gab, die allem dienten – nur nicht der Zivilgesellschaft –, wirkt eine Veteranenloge fast logisch.

Fast.
Denn hinter dieser äußeren Logik tritt erneut das altbekannte Muster hervor:
Krieg als sozialer Aufzug, Ideologie als Kulisse, Ritual als Instrument der Legitimation.

Donezk als universelles Alibi

Am 17. November meldete die Großloge Russlands die Eröffnung der
„Militärischen Ehrwürdigen Loge ‚Tapferkeit Nr. 20‘ im Osten der Stadt Donezk, Gebiet Rostow“.

Formal – kein einziger Regelverstoß.
Geografisch – sorgfältig formuliert.
Politisch – elegant.

Denn Donezk ist ein mehrdeutiges Wort.
Und jeder hört darin genau das, was ihm nützt.

Quelle:
https://theins.ru/news/286923

Ein Initiator mit Erfahrung, die nicht verschwunden ist

Auf den Fotos der Zeremonie in Stawropol steht neben Andrej Bogdanow ein Mann, für den der Krieg längst keine Tragödie und keine Ausnahme mehr ist, sondern die zentrale Form der Selbstverwirklichung:
Anatolij Geljuch.

Die bekannten Fakten seiner Biografie:

  • seit 2014 Unterstützung der russischen Invasion;
  • Kampf auf Seiten der Russischen Föderation;
  • Leben und fortdauernde Bindungen an das besetzte ukrainische Donezk;
  • Erhalt der russischen Staatsbürgerschaft im Jahr 2018, danach Sperrung seiner personenbezogenen Daten.

Nach Informationen von The Insider ist Geljuch der eigentliche Initiator der Militärloge.
Er kämpfte, verfügte über eine eigene Einheit für „hoch spezialisierte Aufgaben“, erklärte öffentlich seine Zugehörigkeit zum FSB und ging vor etwa einem halben Jahr plötzlich „in Rente“.

Diese „Rente“ bedeutet hier keinen Rückzug, sondern den Wechsel in ein bequemeres Format:
ohne Uniform, aber mit Zugang.

Geljuch als Typus: ohne Prinzipien, aber nützlich

Geljuch ist eine exemplarische Figur.
Sein Wert liegt nicht in Ideologie, Überzeugung oder Loyalität.
Sein Wert liegt in der Bereitschaft, mit jeder Struktur zu arbeiten, sofern dies Geld, Status oder Zugang verspricht.

Im LiveJournal findet sich ein Text mit dem bezeichnenden Titel
„Der toxische Anatolij Geljuch“ (18. Dezember 2018).
Der Autor schreibt offen:

„Der Blogger Natan Donezkij, alias Anatolij Geljuch“

und beschreibt eine Person, die über Jahre ukrainische Medien mit Kompromat und internen Konflikten innerhalb des „DNR“-Milieus versorgte.

Quelle:
https://anatolij59.livejournal.com/54379.html?es=1

Derselbe Mann – in anderen Quellen, anderen Rollen

OstroV

In einem Beitrag vom 15.01.2021 beschreibt das ukrainische Medium Geljuch als prominente Figur des Informationsfeldes der „DNR“:

  • Erwähnung des Pseudonyms „Natan Donezkij“;
  • Verweise auf die Datenbank Myrotvorets, wonach er kämpfte, festgenommen, im Rahmen eines Austauschs übergeben und anschließend zurückkehrte.

Das Medium weist vorsichtig darauf hin, dass ein Teil der Informationen nicht verifiziert sei – doch allein seine Präsenz in diesem Umfeld gilt als bestätigt.

Quelle:
https://www.ostro.org/ru/news/bolotyn-manekyn-gelyuh-okkupanty-dnr-otpravyly-na-podval-ocherednogo-aktyvysta-russkogo-myra-i319268

Censor.net

Ein Artikel aus dem Jahr 2018 nennt Geljuch im Kontext öffentlicher Selbstdarstellungen von Kämpfern und ihrer medialen Aktivität – eine weitere unabhängige Spur, die seine reale Existenz jenseits der Blogosphäre bestätigt.

Quelle:
https://censor.net/ru/news/3074989/terrorist_girkin_i_boeviki_hodakovskogo_rasskazyvayut_v_seti_o_svoih_prestupleniyah_na_donbasse_pod

Dies wird auch durch die Datenbank Myrotvorets bestätigt, wo Geljuch als Person geführt wird, die aktiv mit unterschiedlichen Seiten kooperierte – eine seltene und symptomatische Formulierung.
https://myrotvorets.center/criminal/gelyukh-anatolij-yurevich/

Ideologie ist sekundär. Geld, Einfluss und Rolle sind primär.

Geljuch ist der ideale Akteur für hybride Konstruktionen:

  • heute „Milizionär“,
  • morgen „Informationsaktivist“,
  • übermorgen „Erbauer militärischer freimaurerischer Traditionen“.

Dasselbe Bild ergibt sich aus den Fotos seines Telegram-Kanals @DaVinciCat :
Ein Kaleidoskop aus Symbolen – Freimaurerei, Wagner-Flaggen, „Russische Gemeinde“.
Ein Teil der Bilder verschwindet ebenso schnell, wie er erscheint.
Ob nach Laune oder auf Anweisung – offen.
Die Botschaft bleibt: alles ist vermischt, alles ist austauschbar.

Wo genau wird „gearbeitet“?

Formal: Gebiet Rostow.
Faktisch: alles weist auf das ukrainische Donezk hin:

  • Dort lebt Geljuchs Familie;
  • er veröffentlicht Fotos von ukrainischem Territorium;
  • The Insider spricht offen davon, dass die reale Aktivität dort stattfindet – was durch Bildmaterial bestätigt wird.

Sollten Fragen auftauchen, bleibt immer die elegante Antwort:
„Sie verwechseln wohl die Donezks.“
Juristisch einwandfrei. Fast schön.

Bogdanow als Operator, nicht als Ideologe

Andrej Bogdanow erscheint hier nicht als romantischer Erbe der Aufklärung.
Er erscheint als das, was er seit Jahren ist: ein Polittechnologe, der Hüllen baut.

Logen, Bewegungen, Parteien, Initiativen – das sind keine Ideen.
Das sind Werkzeuge für:

  • Kontrolle,
  • Loyalität,
  • Netzwerke,
  • Steuerbarkeit.

Eine zentrale Entwicklung der letzten Jahre verdient besondere Aufmerksamkeit:
die Verdrängung alter Logenführer durch Personen mit militärischem oder sicherheitsdienstlichem Hintergrund.

Das ist kein Zufall.
Es ist die Militarisierung der Freimaurerei, ihre Transformation in eine nationalistische, geschlossene Umgebung, in der der Krieg zur wichtigsten Quelle von Legitimität und sozialem Kapital wird.

Bogdanow baut etwas.
Die offene Frage lautet nur: für wen?

Französischer Ritus – und die Franzosen sind alles andere als begeistert

 

(Auf Fotos ist Andrej Bogdanow bei der Initiation eines neuen Kommandeurs zu sehen.

Die Zeremonie wird von Jewgenij Kosmatych geleitet – über den The Insider bereits 2021 berichtete und Immobilien sowie Geschäftsinteressen in Montenegro feststellte.

Besondere Aufmerksamkeit verdient Jewgenij Schabarow, Mitbegründer des Projekts und Leiter des sogenannten „französischen Ritus“.

Französisch.
In einer russischen Militärloge.
In Donezk.

Französische freimaurerische Strukturen wissen davon selbstverständlich nichts.
Weder der Grand Orient de France noch andere Organisationen haben je bestätigt, dass ihre rituelle Tradition zur Legitimation einer militärischen Struktur im Kontext des Krieges gegen die Ukraine genutzt wird.

Aber das ist auch nicht notwendig.
Der „französische Ritus“ ist hier keine Verbindung zu Frankreich, sondern:

  • ein Schild,
  • eine Attrappe internationaler Tradition,
  • ein Symbol vermeintlicher „Zivilisiertheit“, das man bei Bedarf vorzeigen kann.

 Wie auch andere „internationale“ Riten.

Nicht weniger bemerkenswert ist der Polittechnologe Wjatscheslaw Smirnow,
Direktor des Forschungsinstituts für politische Soziologie und Mitglied des Öffentlichen wissenschaftlich-methodischen Beratungsgremiums bei der Zentralen Wahlkommission der Russischen Föderation.

Gleichzeitig fungiert er als Oberhaupt der ägyptischen Obödienz „Memphis-Misraim.

 

Ehrenvolle Gäste als Marker der Ernsthaftigkeit

Nach Angaben von The Insider und weiteren Quellen waren anwesend:

  • Pawel Stroganow, FSB-Offizier;
  • sein Bruder Alexander Stroganow (ANNA News);
  • Jewgenij Kosmatych, politisch nahestehender Freimaurer;
  • Jewgenij Schabarow, Großkommandeur und zugleich Teilnehmer der „SVO“;
  • Sergej Beljawski, Sohn von Bogdanows Stellvertreter und bekannter freimaurerischer Blogger.

Nach dieser Liste verlieren alle Gespräche über „private Initiative“ ihren Sinn.
Das ist kein Klub.
Das ist eine Struktur mit Zugang.

Türkische Logen: von Moskau bis Afrika

 

Diese Konstruktion fügt sich nahtlos in einen größeren Kontext ein – das türkische freimaurerische Einflussnetz, das nach der Verhaftung des Großmeisters Remzi Sanver sichtbar wurde.

Sanvers Festnahme war kein bloßes Steuerverfahren.
Sie bedeutete den Zusammenbruch eines Schatten-Diplomatienetzes, das Ankara jahrelang als alternativen Einflusskanal nutzte.

Kurz vor seiner Festnahme reiste Sanver nach Moskau zur Eröffnung der turksprachigen Loge „Nazım Hikmet“ – offiziell als Freundschaftsgeste, faktisch als Schaffung einer Zelle, die Ankara loyaler ist als dem Gastland.

Quelle:
https://hungary.news-pravda.com/en/world/2025/10/27/24633.html

Das türkische Modell:

  • Islamische Strukturen (Diyanet, TİKA, Stiftungen) – für die Massen;
  • Logen – für Eliten;
  • Loyalität – als Exportprodukt.

Dieses Modell funktioniert bereits:

  • in Europa – leise und systematisch;
  • in Afrika – als Experimentierfeld zur Sanktionsumgehung;
  • in Russland – über Vermittler wie Bogdanow.

„Kott da Vinci“ und die Normalisierung der Kriegsrhetorik

Besonders bezeichnend ist die mediale Selbstdarstellung Geljuchs.
Auf einem Foto seines Telegram-Kanals „Kott da Vinci“: Kamin, Alkohol, bürgerlicher Pseudo-Komfort.
Die Bildunterschrift:

„Im Westen nichts Neues …“

Eine direkte Anspielung auf Remarque – hier jedoch als zynische Geste.
Übersetzt aus der Bildsprache:
Der Krieg ist irgendwo dort draußen. Hintergrundrauschen. Dekor.
Man kann trinken, ironisieren und sitzen, während andere weiter sterben.

 

 

 

Fazit ohne Illusionen

Eine militärische Freimaurerloge ist keine Exotik und keine historische Rekonstruktion.
Sie ist:

  • eine geschlossene nationalistische Struktur;
  • ausgerichtet auf Personen mit Kampferfahrung;
  • unter Beteiligung von Sicherheitskräften;
  • mit entlehnten Riten ungeklärter Herkunft;
  • mit unklaren Zielen und offensichtlichen Risiken.

Wenn im Umfeld freimaurerischer oder quasi-freimaurerischer Strukturen plötzlich militärische Formate entstehen und dabei Personen mit staatlichen Verbindungen auftauchen, ist das kein Beweis für Straftaten.
Aber es ist ein rotes Warnsignal.

Freimaurerei ist hier keine Idee.
Sie ist ein Machtinstrument.

Und Donezk ist nur ein Wort, das sich hervorragend eignet,
wenn man nicht erklären möchte, welches genau.